Esoterik - Die neue Religion

Stern vom September `96

s t e r n

Heft Nr. 43 September '96


Esoterik - Die neue Religion? STERN: Herr Banzhaf, seit wann sind Sie Esoteriker, und warum wurden Sie es?

BANZHAF: Ich bin religiös erzogen worden, habe mich aber vor etwa 30 Jahren von der Kirche abgewandt. Ich fand in ihr keine Antwort auf Fragen, die ich hatte.

STERN: Welche Fragen?

BANZHAF: Wer bin ich? Was ist meine Aufgabe? Was habe ich hier zu tun?

STERN: Wer sind Sie? Was ist Ihre Aufgabe? Was tun Sie hier?

BANZHAF: Ich bin ein Mensch, dessen Auftrag darin liegt, Traditionen und alte Mythen zu studieren, Pflegen und zu vermitteln. Einer, der komplexe Themen und Gedankengänge in eine allgemeinverständliche Alltagssprache übersetzt.

STERN: Was Ihnen bei einer Auflage von 188000 Exemplaren allein für Ihr "Arbeitsbuch zum Tarot" offenbar gelungen ist. Wie erklären Sie sich denn das immense Interesse an Dingen, die für den Verstand unbegreiflich sind?

BANZHAF: Wir leben in einer Zeit ohne Werte. Die Kirchen sind am Ende ihrer Möglichkeiten. "Gott ist tot", hat schon Nietzsche formuliert. In Notzeiten wie unserer erinnern sich die Menschen an ein Urerbe, das in ihnen schlummert und nun nach oben drängt. Dazu kommen Einflüsse aus dem Osten. Und die Erkenntnis, daß es vieles von dem, was indische oder tibetische Gurus vermitteln, auch in unserem Kulturkreis gab und gibt.

STERN: Nun ist Esoterik volkswirtschaftlich etabliert, spirituell aber degeneriert.

BANZHAF: Das kann ich unterstreichen. Auf den Esoterik-Messen sehen Sie viele Dinge, die nur noch mit Geschäft zu tun haben. Ich bezeichne mich deshalb auch lieber als einen spirituellen Menschen.

STERN: Haben Sie spirituelle Erfahrung?

BANZHAF: Ich habe mir einmal von der Heilerin Gerda Boyesen meine Aura massieren lassen. Da lag ich auf dem Rücken, und sie formte mit ihren Fingerspitzen über meinen Gelenken kleine Spiralen und zog daran wie an unsichtbaren Fäden, ohne mich dabei zu berühren. Und plötzlich mußte ich heftig atmen, und alles in mir zog sich zusammen.

STERN: Sie hatten einen Orgasmus?

BANZHAF: Nein, wie kommen Sie darauf? Es war eher so, als ob eine eng sitzende Hülle von mir gerissen würde. Und damit war ich auch meine Kreislaufprobleme los.

STERN: Auch wenn es schwer zu erklären ist. Versuchen Sie es dennoch.

BANZHAF: Ich habe zwölf Jahre in einer Bank gearbeitet, war chronisch krank, hatte Hepatitis. Das besserte sich bei einer homöopathischen Behandlung, vor allem aber, nachdem ich mich entschlossen hatte, den scheinbar sicheren Beruf aufzugeben. Zwei Wochen nach der Kündigung hatte sich die Krankheit erledigt.
Da sind Energien in mir befreit worden, die vorher verschüttet waren oder gebunden. Und so war das auch bei der Massage.

STERN: Die Esoterik vermag angeblich noch viel mehr. Etwa beim "Bio-Data-Test". Da muß man ein Büro anrufen, die Stimme wird analysiert und kurz darauf erfährt der Anrufer gegen Gebühr (46 Mark), ob es ihm am Herzen, an der Leber oder den Nieren gebricht und welches Kraut (bis 65 Mark) aus dem beiliegenden Angebot dagegen gewachsen ist. Da gibt es "Bioenergothermische Schuheinlagen" gegen Haarausfall, Stirnhöhlenerweiterung, Probleme mit der Prostata und sogar Geschwüre. Selbst die Geräusche des Darms offenbaren esoterisch geschulten Mithörern "schichtweise" das Innere von Körper und Charakter.

BANZHAF: Das Elend der Esoterik besteht darin, daß sich hier jede verkrachte Existenz betätigen kann. Ich bin Astrologe, habe mich mit den Heilern nicht intensiv befaßt. Vielleicht helfen sie einigen. Ich würde diese Heiler erst mal bitten, meinen Schnupfen aus der Welt zu schaffen. STERN: Dementsprechend müßte ich Sie, den Tarot-Experten, darum bitten, mir als leichtere Übung erst mal einen Dreier im Lotto zu offenbaren.

BANZHAF: Sie sehen Astrologie und Esoterik als Trickkiste, um sich Probleme vom Hals zu schaffen, mit ein bißchen Magie reich oder beliebt zu werden. Das kann sie nicht, und dazu ist sie auch nicht da.

STERN: Sondern?

BANZHAF: Es geht um die Suche nach Mitte, Sinn und Tiefe.

STERN: Sie berufen sich dabei auch auf ein Urerbe und mindestens 5000 Jahre.

BANZHAF: Im Prinzip schon. Und darauf, daß all diese Dinge Jahrtausende lang von der geistigen Elite erforscht, angewandt und weitergereicht wurden. Doch ich habe volles Verständnis dafür, daß sie nach der Revolution in Frankreich von den Universitäten verbannt wurden. Dem neuen Bewußtsein, das nun seit 200 Jahren die Menschen prägt, war der mittelalterliche Aspekt der Astrologie fremd. Das änderte sich, als sie sich Mitte unseres Jahrhunderts mit der modernen Psychologie verbündete.

STERN: Was gibt`s Neues im esoterischen Spektrum?

BANZHAF: Das Gute daran ist nicht neu, und das Neue ist nicht unbedingt gut. Alles hat es schon gegeben.

STERN: Etwa Gruppenrückführungen in frühere Leben für 60 Mark pro Zeitreise?

BANZHAF: Ich sehe, daß die seriösen Therapeuten und Reisebegleiter schon auf dem Rückzug sind. Aber ich habe auch mit Menschen gesprochen, die in frühere Leben getaucht sind. Die fanden das sehr, sehr interessant.

STERN: Haben Sie den "vortodlichen Zustand", wie Wissende das Leben nennen, schon einmal verlassen?

BANZHAF: Ja. Ich fand mich als mittelalterlicher Musikant wieder und als Galeerensträfling auf einem spanischen Schiff. Aber ich glaube nicht, daß ich das wirklich war. Ein Teil von mir war es vielleicht.

STERN: Und der Rest?

BANZHAF: Sie müssen sich als Tropfen in einem Meer sehen. Der ist mal Welle, mal tief unten. Und wenn er wieder zur Welle wird, dann ist er doch nicht die Woge, die er mal war, sondern ein Teil eines neuen Gemenges. So etwa sehe ich das.

Mit Banzhaf sprach STERN-Redakteur Rupp Doinet.

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