Heft 90 - Die Null

 

Aus "Astrologie Heute", Heft 90

Die Null

Im Anfang war die Null. Allerdings nur, wenn man sie symbolisch versteht, denn als Zahl ist sie nicht sonderlich alt. Bis ins hohe Mittelalter war sie im Abendland unbekannt. In römischen Ziffern gibt es keine Null. Dieses merkwürdige Zeichen für ein Nichts stammt aus Indien, tauchte in Europa erst vor knapp 1000 Jahren auf und wurde hier zunächst recht argwöhnisch, kritisch und auch unwillig betrachtet. Man mochte nicht mit Nichts rechnen und in der Kirche gab es Bestrebungen, die Null lieber ganz zu verbieten. Doch auch wenn die Zahl selbst relativ jung ist, gehört ihr Zeichen, der Kreis, zu den ältesten Symbolen der Menschheit.

Der Kreis ist neben dem Kreuz, dem Quadrat, dem Dreieck und dem Sechsstern ein Symbol das alle Völker seit frühesten Zeiten kennen. Seine Bedeutung ist das uranfänglich Eine, das ungeteilte Ganze, das Umfassende. Wann immer Mythen um Worte ringen, um den Zustand vor Anbeginn zu beschreiben, finden sie immer die gleichen Bilder: das Runde, die Höhle, der Schoß, das Ei, der Kreis. Diesen Urzustand, dieses Potenzial, in dem alles noch undifferenziert vermischt ist, aber bereit zu werden, wird durch den Kreis symbolisiert. Damit die darin enthaltenen Möglichkeiten hervortreten können, muss er aufgebrochen werden und deshalb erzählen Schöpfungsmythen typischerweise von Teilungen oder Trennungen, die am Anfang stattfanden. So schied Gott das Licht von der Finsternis, trennte die Himmel von der Erde und die oberen von den unteren Wassern.

Der Urzustand wurde auch als Chaos beschrieben, weil die potenziellen Möglichkeiten noch völlig ungeordnet, eben undifferenziert beieinander schlummern. Auch unser jüdisch-christlicher Schöpfungsbericht spricht vom anfänglichen Chaos, das auf hebräisch Tohuwabohu heißt und gleich am Anfang der Bibel auftaucht, wenn dort erzählt wird: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde und die Erde war wüst und leer.

Ein wunderschöner Schöpfungsbericht, der alle diese Elemente beinhaltet und sehr alt sein muss, weil er uns von einer Göttin als Schöpferin erzählt, stammt von den Pelasgern. Sie lebten im heutigen Griechenland, in Thessalien, lange bevor sich dort die Hellenen niederließen und von ihrer großen Göttin Eurynome heißt es:

Im Anfang war Eurynome, die Mutter aller Dinge. Nackt trat sie aus dem Chaos, und da dort nichts war, worauf sie ihre Füße setzen konnte, trennte sie die Himmel von den Wassern. Und dann begann sie zu tanzen. Sie tanzte allein auf einer Welle gen Süden. Und wie sie so tanzte, spürte sie den Nordwind Boreas, den sie durch ihre Bewegungen gelöst hatte und der sich hinter ihr erhob. Sie griff ihn mit ihren Händen und rieb ihn bis er zu einer Schlange wurde, um die Eurynome immer wilder tanzte, bis Boreas lüstern geworden sich um die Göttin schlang und sie begattete. Und dann gebar die Göttin das Weltei, wies die Schlange an, sich siebenmal herum zu winden um es auszubrüten, und als die Zeit gekommen war, flog die obere Hälfte noch oben und bildet seither den Himmel und die Firmamente, die untere aber bildet die Erde und die Unterwelt. Boreas aber ist die Horizontschlange, die den ganzen Erdkreis umgibt.

Die Schlange, die sich in den Schwanz beißt, nennt man Uroboros (griechisch: Schwanzfresser). Sie gehört, gleich dem Drachen und anderen Tieren, die sich in den Schwanz beißen, zu den Ursymbolen der Menschheit und ist in der Alchemie Symbol der prima materia, des Urstoffes, aus dem alles hervorgeht.

Die Jungsche Tiefenpsychologie erkennt im Kreis das Symbol des Unbewussten, des kreativen "Chaos", in dem alle Möglichkeiten, all unsere Anlagen undifferenziert und "einfältig" bereit liegen, um in unser Bewusstsein geholt und dort entfaltet zu werden. In der Astrologie finden wir das Umfassende dieses Symbols im Tierkreis, sowie im weiten Rad des Horizonts und im Kreis, der das Horoskop umgibt und damit all unsere Anlagen und Möglichkeiten umfasst. In den Tarotkarten begegnet uns der Kreis und die Null beim Narren, der zeigt, dass wann immer wir bei Null anfangen, uns wieder alle Möglichkeiten offen stehen.

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